Alfred Jodlauk
Kirchengemeinde Wischtyten
(Kopie aus der „Heimatgruß“ 1985 Seite 41 )
Knapp ein Jahrhundert alt ist die evangelisch-lutherische Kirchengemeinde Wischtyten geworden. Zwar sind 100 Jahre im Leben des einzelnen Menschen eine lange Zeit – mehr als eine lange Zeit; denn nur wenigen ist es beschieden, den 100. Geburtstag feiern zu können. In der langen Geschichte einer Gemeinde aber, eines Volkes oder auch der gesamten Menschheit ist das nur eine kurze Zeitspanne. Aber auch in solch kurzer Zeit hat die Gemeinde Not und Elend, schwere Zeiten, Kriege und Frieden und Kämpfe aller Art durchmachen müssen; doch auch Freude und Glück ist ihr beschieden gewesen. Die Wischtyter Kirchengemeinde war wie eine große Familie in der die Not des einen auch die der ganzen Familie war; die Freude des einzelnen wurde von der gesamten Familie mitgefeiert, auch wenn es hier und da einmal einen bitteren Tropfen gab.
Nun sind Freud und Leid jener Zeit fast vergessen. Die Gemeinde, die große Familie der Volksgruppe der Litauendeutschen ist vom Sturm der Zeit in alle Welt verweht. Und heute ist dort, wo sie ein mal einen beschwerlichen Existenzkampf geführt hatte, nur noch bei alten Menschen eine Erinnerung an die Deutschen geblieben. Im Alltagsleben ist es, als habe es nie eine evangelisch-lutherische Kirchengemeinde in Wischtyten gegeben. Vielleicht wird man dort über die Umsiedlung der Litauendeutschen ähnlich wie über den Auszug der Kinder Israel aus Ägypten erzählen, vielleicht werden sich dort im Laufe der Zeit gar Sagen und Legenden über die Umsiedlung bilden.
Und hier bei uns, den Umgesiedelten, ist es ähnlich: nur noch in einzelnen Wischtytern lebt die Erinnerung an das Leben in jenem Städtchen und in jenem Lande fort. Und wenn diese Menschen nicht mehr sein werden, wird auch alles vergessen sein; niemand wird mehr von der Wischtyter Kirche und ihrem Holzturm sprechen, niemand von der Gemeinde und ihren Kämpfen um die Existenz und um das Dasein des einzelnen, von den Kämpfen gegen bittere Armut, gegen Elend und auch Unterdrückung. Wer erinnert sich schon daran, wenn es ihm gut geht?
Wehmut erfaßt mich, wenn ich an jene Zeit in der alten Heimat zurück denke – jetzt sehe ich den Untergang unserer Geschichte, die nachweislich mit dem Bau unserer Kirche begann und mit der Umsiedlung zu Ende ging. Auch die Litauendeutschen selbst werden in einigen Generationen als solche nicht mehr vorhanden sein… Die Erinnerungen an die Vergangenheit werden mit der alten Generation zu Grabe getragen werden, und über jenen Geschichtsabschnitt des Deutschtums in Litauen wird wohl niemand mehr sprechen und noch weniger darüber schreiben. Ob es dann wenigstens noch Sagen und Legenden geben wird? Sind doch die Litauendeutschen in aller Welt zur Zeit sehr beschäftigt mit Integration und Assimilation. . . Sie denken kaum noch der vergangenen Jahre.
Und gerade diese Vorgänge stimmen mich wehmütig. Aus dem Dunkel der fernen Vergangenheit sind die Litauendeutschen aufgetaucht, spät, recht spät wurden sie sichtbar. In eine unbekannte Zukunft werden sie vom Schicksal geführt und eines Tages werden sie vergessen sein. Die Volksgruppe hat eine Geschichte, die noch geschrieben werden müßte. Wer aber ist dazu in der Lage?
Ohne Unterlagen kann man weder die Geschichte der Litauendeutschen insgesamt noch die der Gemeinde Wischtyten im einzelnen schreiben. Die kurzen Abrisse, Fragmente, Nachrichten in der „Heimatstimme“, in der „Raute“ und im „Heimatgruß“ können wohl Teilaspekte aufzeigen und weiterhelfen. Das ganze sind sie nicht.
Wie gut wäre es, in den Wischtyter Kirchenbüchern zu blättern und nach Unterlagen für die Darstellung der Kirchenge- meinde Wischtyten zu forschen! Sicher könnte man dann ein umfangreiches Buch schreiben. Die Kirchenbücher aber mußten als „Eigentum“ des kurz vor der Umsiedlung ins Leben gerufenen Standesamtes bei der Verwaltung des Amtsbezirks Wischtyten (valsciaus valdyba) zurückgelassen werden. Theoretisch und gesetzlich gesehen, hat sich darin die Leitung der Kirchengemeinde korrekt verhalten. Aber was wird aus ihnen werden? Wahrscheinlich werden sie im Archiv, wenn es in Wischtyten dergleichen gibt, verschwinden oder gar bei absoluter Nichtbenutzung eines Tages vernichtet werden, ohne daß man ihnen auch nur eine Träne nachweinen wird, obgleich sie den ganzen geschichtlichen Ablauf einer Gemeinde bergen. Es mag aber auch geschehen, daß sie in sorgsam gehüteten Gewölben der Geschichtswissenschaft der Universität zu Vilnius in einen Dornröschenschlaf versinken .
So habe ich eigene – und nur ganz sporadisch auch fremde – Erinnerungen zusammengetragen. Für mich selbst ist schon allein die Arbeit daran eine Erinnerung an das, was war und im Zeitensturm vergangen ist. Nie wird es wiederkommen. Eine Wischtyterin sagte: “In Wischtyten möchte ich nicht einmal begraben sein!“ Und das, obwohl ihre Eltern, Großeltern und zwei Brüder auf dem Friedhof ruhen. Viele unserer Angehörigen haben dort ihre letzte Ruhestätte gefunden. Bei dieser Arbeit kehren meine Gedanken auch zu ihnen zurück. Die Toten auf denn Wischtyter Friedhof sind in der Fremde geblieben: aber sie sind nicht vergessen, unsere Gedanken sind bei ihnen.
Bei der Wischtyter Feuerwehr waren viele Deutsche!
Die Vertreibung der Menschen aus ihren angestammten Wohnsitzen ist so alt wie die Menschheit selbst. Die ersten Vertriebenen waren Adam und Eva. Später wurden ganze Volksstämme vertrieben. Der Stärkere vertrieb den Schwächeren. Heute wird oft von Umsiedlung gesprochen. Darunter fällt auch Deportation. Die Wolgadeutschen wurden nach Innerasien deportiert, ebenfalls ein großer Teil der Georgier, die ihre Wohnsitze in der Nähe der türkisch-russischen Grenze hatten. Deportiert wurden Litauer, Letten, Esten. Oder soll es auch eine Umsiedlung gewesen sein? Auch im Fernen Osten werden Menschenmassen hin- und herbewegt. Vertreibungen hat es in der Geschichte der Menschheit viele gegeben. Um ihres Glaubens willen wurden im 17. und 18. Jahrhundert auch Böhmer und Salzburger vertrieben. Die Salzburger wollen wir besonders hervorheben, weil viele von uns von ihnen abstammen; manche wissen und pflegen dieses Erbe, andere haben kaum noch Erinnerung oder gar Ahnung davon. Am Anfang davon stand Religionshaß und der hat in der Geschichte des Christentums viel Blut und Tränen verursacht.
Besonders hart ging es bei der Austreibung der österreichischen Salzburger unter Leopold Anton Freiherr von Firmian zu, der 1727 zum Erzbischof von Salzburg gewählt worden war. Er versuchte sogar, die Versammlungen der Protestanten als drohende Rebellion hinzustellen und erbat vom Kaiser Unterstützung gegen sie. Und dann folgten Vertreibung um Vertreibung. Die genaue Zahl der Vertriebenen läßt sich nur schwer bestimmen, aber es ist anzunehmen, da es sich um 17- bis 18000 gehandelt hat.
Wo sollten diese Menschen denn bleiben? Friedrich Wilhelm l. erließ am 2. Februar 1732 sein „Aufnahmepatent“, in welchem den „Exulanten“ (das ist ein inzwischen veraltetes Wort für Verbannte, Vertriebene; es wurde besonders auf die um ihres Glaubens willen Vertriebenen aus Böhmen und aus dem Salzburger Land angewandt) Aufnahme und Fürsorge versprochen wurde, „und wenn sie zu Tausenden kämen“. Und sie kamen zu Tausenden.
In Berlin wurden sie gesammelt. Etwa 10780 Personen wurden per Schiff von Stettin nach Königsberg gebracht. Mit dem Treck (780 Wagen) kamen auf dem Landwege insgesamt 5533 Personen nach Ostpreußen.
Seit es Menschen auf Erden gibt, gibt es auch Neid, Haß und Kriege; seit der Mensch sät und erntet – reiche Ernten und schwere Mißernten; seit die Menschen miteinander verkehren und leben – Infektionskrankheiten und Epidemien aller Art. Eine der gefürchtetsten Epidemien war in den vergangenen Jahrhunderten die Schwarze Pest, auch Schwarzer Tod genannt.
In den Jahren 1709 – 1712 brach diesseits und jenseits der deutsch russischen Grenze (also in Ostpreußen und Litauen) die Schwarze Pest aus. Bauernhöfe, ja, ganze Landstriche waren entvölkert, es gab viele Geisterdörfer.
Im Jahre 1731 wurden die evangelisch-lutherischen Salzburger vertrieben und in den entvölkerten Grenzgebieten in Ostpreußen angesiedelt. Im Jahre 1795 kommt es zur dritten und letzten Teilung des durch eine Union vereinigten Staates Litauen-Polen. Dadurch wird das Gebiet auf dem linken Ufer der Memel preußisch. Man nannte es auch „Neu-Ostpreuen“. Sofort zogen angesiedelte (oder auch noch nicht ganz seßhaft gewordene) Salzburger und mit ihnen auch Prußen, auch Pruzzen genannt, in Scharen in das neu gewonnene Land, wo es noch gute Siedlungsplätze und -bedingungen gab. Etwa 80 % von ihnen siedelten in einem 40 bis 60 Kilometerbreiten Streifen – das waren jene Gegenden in Litauen, wo die meisten Deutschen wohnten.
Die alten Salzburger sind die Träger der Namen mit der Endung „-er“ (seltener auch „-ei“): Danner, Donner, Eder, Fieler, Fiedler, Moosbacher, Schröder, Wiemer usw. Die Nachkommen der Prußen erkennt man an folgenden Namensformen: Dotschkies, Grigat, Henseleit, Jodkuhn, Petereit usw.
Wie aus den Kirchenbüchern der in dem Gebiet vorhandenen katholischen Kirchengemeinden hervorgeht, waren vereinzelt deutsche Umsiedler auch schon vorher in leere Gebiete über die Grenze gegangen. Da es damals noch keine evangelisch-lutherischen Kirchengemeinden in den betreffenden Landstrichen gab, ließen eingewanderte Lutheraner ihre Kinder notgedrungen in den katholischen Kirchen taufen. Das änderte sich, als die evangelisch-lutherischen Kirchengemeinden gegründet wurden.
So war es auch in Wischtyten.
Die ersten Daten aus der evangelisch-lutherischen Kirchengemeinde Wischtyten stammen aus dem Jahre 1842. In diesem Jahre wurde die Gemeinde gegründet. Damals zählte sie rund 2500 Seelen. Ob zu der Zeit schon eine Gemeindegliederkartei oder irgendeine Liste geführt wurde, ist nicht mehr bekannt. Aber aus den Kirchenbüchern geht hervor – ging! – denn das war noch vor der Umsiedlung – da man in einem Jahre rund 2500 Abendmahlsgäste zählte. Wahrscheinlich schloß man daraus auf die Gesamtzahl der Gemeindemitglieder und auf die Größe der Kirchengemeinde.
Die Kirche von Wischtyten (Westansicht)
Im Jahre 1844 wurde unter großen Schwierigkeiten die Kirche auf dem Alten Markt aus einfachen Feldsteinen gebaut; denn die verhältnismäßig große Kirchengemeinde mußte endlich ihr eigenes Gotteshaus haben, um nicht wieder und immer wieder die Dienstleistungen der katholischen Gemeinde in Anspruch nehmen zu müssen.
Aber der Bau des Gotteshauses kostete große Anstrengungen; das Geld war sehr knapp, und mußte doch für den Bau aufgebracht werden. Auch nach knapp einem halben Jahrhundert war es noch immer nicht vergessen, da man so manchem Kleinbauern die letzte Kuh aus dem Stall geführt hatte.
Doch schließlich stand das Gotteshaus, und die Wischtyter evangelisch-lutherischen Christen waren stolz auf den Neubau, dessen Länge immerhin 44 Ellen betrug.
Mit weißgekalkten Wänden, den im Verhältnis zu den geduckten Wohnhäusern großen, langen Fenstern, mit dem roten Ziegeldach war sie hübsch anzusehen. Die Wohnhäuser der Menschen, ja, die waren armselig dagegen; und arm, müde und hungrig waren auch die Menschen, die darin wohnten. Nicht nur ihre Hände, auch ihre Gesichter waren von der schweren Arbeit geprägt: Schwielen und gegerbte Haut. Sogar im Winter schufteten sie vom frühen Morgen zum späten Abend und erwirtschafteten doch nur das Allernotwendigste für das tägliche Leben.
Und so machte der ganze Alte Markt den Eindruck der Einsamkeit und Armut. Auf ihn führte ein Fahrweg. Und je nach Jahreszeit polterten die Wagenräder über Humpel und Steine oder zogen lange Staubfahnen hinter sich. Im Herbst und Frühling aber matschten sie durch tiefen Modder und Sumpf. So kamen über diesen Weg die Bauern mit ihren Leiterwagen zur Kirche. Mitunter sah man auch hier und da einen Federwagen. Noch mehr Kirchgänger gingen an Wegrändern zu Fuß.
Die Fuhrwerke wurden auf dem Alten Markt um die Kirche abgestellt, die Pferde abgesträngt und an die Wagenleitern gebunden. Müde hoben die treuen Arbeitsgäule die Köpfe über die Leitern und fraßen lustlos das im Wagen liegende Heu, das die Bauersleute manchmal gar mit ihren erdigen Stiefeln arg zertreten hatten. Über den ganzen Markt hörte man das Mahlen der gewaltigen Zähne. Und nur wenige Fuhrleute konnten es sich leisten, ihrem Pferd den Hafersack über den Kopf zu ziehen.
Der Haupteingang zur Kirche befand sich in der Giebelwand zur Straßenseite. Über drei Steinstufen und über eine kleine betonierte Terasse erreichte man die schwere, zweiflügelige Tür. Am Sonntag war der rechte Flügel für die Kirchgänger geöffnet, bei pastoralem Gottesdienst waren oft auch beide Flügel aufgestoßen. Durch die Tür erreichte man den kleinen Vorraum, der wie ein Windfang wirkte, von dem aus drei Türen – geradeaus, links und rechts – in das Innere der Kirche führten.
Der gesamte Fußboden war mit Backsteinen ausgelegt, gepflastert. Nach jedem pastoralen Gottesdienst wirkte er fast wie ein Acker, besonders im Herbst und Frühling, wenn die Wege grundlos waren: mit ihren schweren Stiefeln schleppten die Kirchgänger Ackererde und Marktplatzsand herein. Der Sand wurde dann am Montag zusammengefegt und eimerweise auf die Straße hinausgebracht.
Daß Gotteshaus war nicht groß. Auf jeder Seite des Hauptganges standen je 14 Bänke. Jede Bank war für sieben Personen gedacht. Rechts vorn Altar hatte sich der reiche Bauer Fuchs aus Lankupönen eine eigene Bank bauen lassen, die zweite Bank Jonell aus Antawillen: links vom Altar hatte Fräulein Laura Hoffmann ihre Bank, davor stand die Bank des Kirchenrates. Wenn sie, Fräulein Hoffmann, in die Kirche kam, mußte ihre Bank geräumt werden, auch wenn bei pastoralem Gottesdienst die gesamte Kirche gedrückt voll war. Sie stammte aus dem Hause Wojcelewicz; ihr Anwesen befand sich an der Niederung bei der Knipawe. Früher hatte auf dieser Stelle in der Kirche die Bank von Krause gestanden; er war lange Jahre Wojt (Amtmann des Amtsbezirks Wischtyten) gewesen und hatte somit auch in der Kirchengemeinde eine bevorzugte Stellung.
Die erste Bank ganz rechts oben hatte eine abschließbare Tür. Sie gehörte der angesehenen Familie Beyer.
Hinter dem Altar, quer durch den ganzen Bau, zog sich, durch eine Brettwand vom Hauptteil der Kirche getrennt, die Sakristei. In der äußersten Nordostecke. Stand hier ein billiger Tisch. Darauf ein Tintenfaß, daneben lag ein billiger Federhalter. Hier wurden die Abendmahlsgäste registriert. Das tat der Pastor selbst und sammelte dabei das Geld ein, um davon die Kirche mit Wein zu versorgen. Oft wurden hier auch die Taufen angenommen, d. h. in das Taufregister eingetragen, und bei Trauungen wurde hier das Eheschließungsregister ausgefüllt und unterschrieben.
Neben der Holzwand an der Tür zum Kirchenschiff hing ein kleines Holzschränkchen, in welchem das Abendmahlsgerät aufbewahrt wurde. Im unteren Fach lagen Kerzenstummel und andere Kleinigkeiten.
Innenansicht der Wischtyter Kirche
Auf dem Mittelgang, vor dem Altar, da stand der aus einem dicken Baumstamm gedrehte Taufstein. Im Raum hingen vier Lied-Anzeige-Tafeln. Jede Tafel hatte fünf Nuten für die Liednummern.
Im Jahre 1862 bekam die Kirche zwei in Königsberg gegossene Glocken. Auf der größeren stand der Spruch: „Ehre sei Gott in der Höhe und Frieden auf Erden. . .“
Im Jahre 1885 wurde die Kirche zum erstenmal renoviert. Was dran gearbeitet wurde, ist heute schwer zu sagen. Man kann annehmen, daß es sich um Maler- und Anstreicherarbeiten gehandelt hat.
Die Orgel wurde etwa im Jahre 1890 von einem in Petersburg lebenden Mertin gebaut, zuerst mit fünf Registern; dann aber stellte es sich heraus, daß das Orgelspiel im Gesang der Gemeinde unterging. Daher bekam sie noch das scharfe Piccolo. Nicht alle Kirchgänger konnten diesen schneidenden Ton vertragen.. .Wegen des niedrigen Raumes konnten 8 ‘Register ein gebaut werden. An Pedale hatte man bei der geringen Höhe (ein großer Mansch stieß auf der Empore, wo ja auch die Orgel stand, fast mit dem Kopf an die Decke) schon gar nicht gedacht. Aber für die Wischtyter Kirche reichte die kleine Orgel. Oft wurde von ihr als von einer „Viertelorgel“ gesprochen.
Beim Spielen saß der Kantor vor dem Manual, das ihn vorn beklemmte; aber hinter ihm gebot die Kirchenwand schon wieder Einhalt. Für den Balgentreter hatte man an der rechten Seite einen schweren Holzhebel eingebaut, der hin- und hergedrückt werden mußte, wenn der Balgen unter Druck gehalten werden sollte. Hier also wurde der schwere Hebel nicht getreten (daher „Balgentreter“), sondern mit der Hand bedient. Wenn der Kantor mehr Luft verbrauchte, dann mußte der Luftmacher, wie in der Kirche oft gesagt wurde, schnell am Hebel reißen, und das verursachte dumpfe Stöße, die man auch während des Gesanges in der ganzen Kirche hörte. Mitunter quietschte es auch.
Die Kanzel ragte ein wenig über dem aus gutem Holz gezimmerten Altar hinaus. Betreten wurde sie über eine enge Treppe von der Sakristei aus.
Und nun müßte ich eigentlich schildern, wer und wie die Wischtyter Küster, Kantoren und Pastoren gewesen sind. Doch das will ich ein andermal erzählen.